Werben und Warnen für die Demokratie

Jürgen Schmude erhält den Karl-Barth-Preis

02. Mai 2009


Was mag in Jürgen Schmudes Kopf vor sich gegangen sein? Im Foyer des Frankonia-Saals sitzt er ganz vorn in der ersten Reihe. Ein leichtes Lächeln, ein kurzes Nicken, ein kleiner Schulterblick: Ja, es sind viele, die sich hinter ihm versammelt haben, die Stuhlreihen sind voll besetzt. Nichts würde Schmude ferner liegen, als die Zahl der Gäste zu erfassen, um daraus auf das das Ausmaß seiner Würdigung zu schließen. Und nichts macht die Dankbarkeit und Hochachtung vieler Menschen in der Evangelischen Kirche in Deutschland deutlicher als die große Zahl von Gratulanten, die gekommen sind, um ihn, den aktuellen Preisträger des Karl-Barth-Preises der UEK zu ehren.

Bevor Schmude sagen kann, was in seinem Kopf vorgeht, kommen erst einmal die anderen dran; das gehört sich so für eine Preisverleihung. Große Worte sind da zu vernehmen für einen, der nie große Worte gemacht hat: Dass er „mit seinem Wirken in Politik und Kirche durch Jahrzehnte hindurch ein beeindruckendes Beispiel“ davon gegeben habe, „was es heißt, die politische Bedeutung des Evangeliums in der Tradition der Barmer Theologischen Erklärung zu entfalten“, so heißt es in der Begründung der Jury des Karl-Barth-Preises. Der Vorsitzende der UEK-Vollkonferenz, Landesbischof Ulrich Fischer, kleidet sein Lob in eine kleine Tierkunde. Er erinnert an Schmudes Verdienste als Vorsitzender des „theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – West zu Barmen V“ und daran, dass Schmude einmal lakonisch bemerkt habe, er sei sich damals unter all’ den namhaften Theologen zuweilen vorgekommen wie eine Schildkröte unter Flamingos“.

Nun mag man das Schmudesche Schildkrötengefühl subjektiv vielleicht nachvollziehen können – sollte das langsame Schalentier aber wirklich geeignet sein, diesen Zweimeter-Christen zu charakterisieren? Doch, es passt genau, behauptet Fischer, denn: „Eine Schildkröte ist ja ein ganz besonderes Tier.“ So habe sie einen „einzigartigen Rücken- und Brustpanzer“, ein nicht biegsames Rückgrat, ausgesprochen sensible Sinnesorgane und „einen hervorragenden Orientierungssinn, der sich mit zunehmendem Lebensalter sogar noch zu verbessern scheint“. Schildkröten, erklärt Fischer weiter, „reden nicht so viel“, und „schon in der Antike konnten Mathematiker mühelos nachweisen, dass eine Schildkröte, wenn sie nur einmal einen gewissen Vorsprung hat, niemals von einem Läufer eingeholt werden kann“. Am Ende sind die Zuhörer, die zunächst möglicherweise verwirrt waren, restlos überzeugt: Dem großen Mann aus Moers, der so viele Zeitgenossen überragt, entspricht die Schildkröte wie kein anderes Tier.

Dazu passt, was der Laudator, Bundesminister a. D. Manfred Stolpe, ganz ohne Rückgriff auf die Fauna über Schmude sagt. Dass der neue Preisträger „nie konfrontativ“ gewesen sei, „nie aggressiv, eher flüsternd als laut“. Aus dem Herzen spricht Stolpe den Anwesenden auch mit der Feststellung, dass Schmude es „mit hintergründigem liebevollem Humor“ versteht, „Wahrheiten zu sagen ohne zu verletzen“.

25 Jahre war Jürgen Schmude Mitglied des Deutschen Bundestages, mehrere Jahre Bundesminister. Der Synode der EKD stand er 18 Jahre als Präses vor. Immer wieder übernahm er Verantwortung im kirchlichen wie im politischen Bereich und lebte seine Überzeugung, „dass dem Glauben ein aktives Handeln entsprechen muss, sowohl in der Kirche und für die Kirche als auch in der politischen Verantwortung“, wie Stolpe über Schmude sagt. „Er sieht einen tiefen Zusammenhang zwischen Evangelischer Kirche und Demokratie, die als menschenwürdigste Staatsform zu bejahen und mit zu tragen ist“.
 
Wie sehr der Laudator damit ins Schwarze getroffen hat, wird klar, als zum Ende der Lobeszeit der Geehrte selbst ans Mikrofon tritt. „Berührt und befangen“ dankt Schmude zunächst für die „Würdigungen meiner Bemühungen“, für das gehörte „Zuviel des Guten“. Er sei kein „besonders zu würdigender Mensch“ geworden, „nicht mehr als andere auch“. Da ist sie: Bescheidenheit à la Schmude, und es ist natürlich auch noch mehr, denn nun kommt er zur Sache. Die Sache, um die es ihm geht, heißt: Übernahme von politischer Verantwortung in der Demokratie. Jürgen Schmude will seine Zuhörer nicht in Wohlgefallen entlassen, es reicht ihm nicht, „dass ein Mensch gewürdigt wird und zufrieden nach Hause geht“.

Er selber habe in seinem Leben besondere Chancen nutzen können, aber diese Chancen hätten andere auch. Allerdings sei vor allem für die Politik offensichtlich die Schiedsrichterrolle populär: „Viel und schnell urteilen, sich aber bloß nicht in das Spiel einmischen“. Schmude verweist auf die Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 mit dem Titel „Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“. „Ziel der heutigen Preisverleihung sollte es sein, auf die Annahme dieses Angebots durch möglichst viele Menschen hinzuwirken.“ Schmude wirbt: Die politische Arbeit mit all ihren Mühen auf sich zu nehmen, sagt er, sei „eine heute besonders nötig gebrauchte Form von Nächstenliebe“. Und er warnt: „Erfolg und Bestand der Demokratie sind nicht garantiert. Für den Bestand der Demokratie könnten nur aktive Demokraten sorgen, an denen es der Weimarer Republik leider gefehlt habe.

Am Ende kommt er nochmal auf den Namensgeber seines Preises zurück: Karl Barth, meint Schmude, würde heute ebenfalls mahnen, „dass man als Christ die demokratische Regierungsform auch nicht aus Bequemlichkeit und Verantwortungsscheu mit allerlei Ausreden aufs Spiel setzen darf“. Wie sagte Ulrich Fischer über die Schildkröte? Sie redet nicht viel. „Aber wenn sie dann doch einmal einen Laut von sich gibt, dann tut man gut daran, genau darauf zu achten; dann ist nämlich Gefahr im Verzug.“ Bleibt zu hoffen, dass die Warnung Jürgen Schmudes gehört  wird.



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