Bericht von der Pfingsttagung der Evangelischen Forschungsakademie 2010

Tagung der Evangelischen Forschungsakademie im Evangelischen Zentrum Kloster Drübeck

31. Mai 2010

Kloster Drübeck

Bericht von der Pfingsttagung der Evangelischen Forschungsakademie 2010

Die Evangelische Forschungsakademie (EFA) veranstaltete vom 21. bis zum 24. Mai ihre 125. Tagung im Evangelischen Zentrum Kloster Drübeck, nahe bei Wernigerode im Harz. Wie üblich diente die Pfingsttagung der Vorstellung und der Diskussion von Forschungsergebnissen ihrer Mitglieder und Gäste. In den acht Vorträgen, einer Podiumsdiskussion und einer architekturgeschichtlichen Exkursion wurde die Vielfalt der wissenschaftlichen Arbeit deutlich, die von den zur Forschungsakademie gehörenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geleistet wird.

Am Anfang stand der Vortrag von Privatdozent Dr. Friedemann Stengel (Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung, Halle) zur Geschichte der Deutung des Wirkens von Thomas Müntzer; Stengel wies auf, dass sich das vor allem in der Zeit der DDR gepflegte Bild Müntzers als eines frühbürgerlichen Revolutionärs aus den zeitgenössischen Quellen nicht belegen lässt. Eine der Quellen für die einseitige, kritisch gemeinte Interpretation Müntzers als des Verfechters eines frühen „Kommunismus“ war übrigens Philipp Melanchthon.

Dr. Hans Eckhard Lubrich, ehemaliger Landeskirchenrat in der Evangelischen Kirche von Westfalen, beschrieb das Bemühen des zeitweise als Konsistorialrat in der preußischen Kurmark tätigen Theologen Bernhard Christoph Ludwig Natorp (1774-1846) um eineReform des Elementarschulwesens. Natorp habe durch seine Ideen und seine organisatorischen Aktivitäten eine Verbesserung der Verhältnisse vor allem an den Volksschulen auf dem Lande angestrebt und erreicht.
Privatdozent Dr. Michael Sören Schuppan (Berlin) gab einen Überblick über die spannungsvolle Geschichte der Beziehungen zwischen dem preußischen Staat und den dort tätigen Lehrern; es habe eine „wechselseitige Loyalität“ gegeben, die aber etwa in der Zeit nach 1848 und in der Zeit des Nationalsozialismus ausgenutzt und missbraucht worden sei.

Professor Dr. Herbert Spindler (Halle), Mitglied der Kommission „Wissenschaft und Werte“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, stellte die Problematik aller Bemühungen um eine wissenschaftliche Begründung von „Werten“ dar. Werte seien nicht objektivierbar, und die Frage, wie Wertbildung zustande komme, lasse sich nicht wissenschaftlich, schon gar nicht naturwissenschaftlich beantworten.

Als Gast aus den Niederlanden sprach Professor Dr. Egbert Schuurman, Mitglied der Ersten Kammer des Niederländischen Parlaments (Senat), über die Beziehungen zwischen Technik und Islam, Christentum und Aufklärung. Der Islam stehe vor allem seit der westlichen Aufklärung dem Christentum kritisch gegenüber und werfe ihm die Idee einer verabsolutierten Freiheit vor. Die notwendige Transformation der rein „technologischen Kultur“ im Westen müsse und könne sich aber verbinden mit Vorstellungen eines reformbereiten und den Terrorismus ablehnenden Islam.

Das Leben und Denken der mittelalterlichen Nonne Hildegard von Bingen war Thema eines öffentlichen Vortrags von Professorin Dr. Gerlinde Strohmaier-Wiederanders (Berlin); dieser Vortrag war zugleich Teil des Festprogramms zur Feier des 1050jährigen Bestehens des Klosters Drübeck (das Jubiläum war unmittelbar zuvor mit einem Rundfunkgottesdienst aus der Klosterkirche eingeleitet worden, in dem Altbischof Axel Noack die Predigt hielt). Strohmaier-Wiederanders schilderte die Benediktinerin Hildegard von Bingen als eine umfassend gebildete Frau, die naturkundliche und theologische Schriften hinterließ und die ihre religiösen Erfahrungen (Visionen) bewusst zu reflektieren vermochte.

In Anknüpfung an einen im Jahre 2009 gehaltenen Vortrag fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Verantwortlicher Umgang mit genetischer Diagnostik“ statt, in der die Probleme der Gendiagnostik (unter anderem pränatale Diagnostik) aus unterschiedlichen Perspektiven und beruflichen und persönlichen Erfahrungen der Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer erörtert wurden. Die Diskussion wurde von Professorin Dr. Elisabeth Gödde (Humangenetik und Psychotherapie, Recklinghausen)und der Fachärztin für Humangenetik Kathrin Pötschick (Berlin) geleitet. Es wurde klar, dass Genuntersuchungen bei der Früherkennung von Erbkrankheiten von Nutzen sind, doch seien immer nur Wahrscheinlichkeitsurteile möglich. Eine der Teilnehmerinnen des Podiums war Anne Mönnich, Mit-Autorin des Ratgebers „Komme ich aus einer Krebsfamilie?“, die auch von ihren persönlichen Erfahrungen berichtete.

Professor Dr. Alfred Krabbe, Leiter des deutschen Zentrums für Infrarotastronomie (SOFIA) in Stuttgart, sprach über „Die Suche nach einer zweiten Erde“: Gibt es im Weltall Planeten, die erdähnliche Bedingungen aufweisen, und wäre es überhaupt möglich, solche Planeten zu entdecken und womöglich Kontakt aufzunehmen? Da Planeten kein eigenes Licht haben, gleicht die entsprechende Forschung der Suche nach der „Stecknadel im Heuhaufen“. Die Forschung wird mit großem Aufwand betrieben, mögliche Ergebnisse sind nicht abzusehen. In Kürze wird in Zusammenarbeit mit der NASA das Stratosphären-Observatorium an Bord einer umgebauten Boeing 747 seine Forschungsarbeit aufnehmen.

Dipl.-Ing. Holger Pötschick (Berlin) sprach über seine Tätigkeit als Stationsingenieur auf der Polarforschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Ny Ålesund auf Spitzbergen in den Jahren 2001/2002. Zentraler Forschungsgegenstand sind Veränderungen der polaren Atmosphäre und damit verbunden vor allem das „Ozonloch“ über der Arktis. Es kommt darauf an, durch genaue Messungen langfristige Entwicklungen aufzuzeigen; schon jetzt lasse sich erkennen, dass das FCKW-Verbot in absehbarer Zeit zur „Schließung“ des Ozonlochs führen werde.

Die traditionelle Exkursion führte in diesem Jahr in die Fachwerkstadt Osterwieck. Professor Dr. Peter Findeisen (Halle) erläuterte Bau und Ausstattung der gotischen St. Stephanikirche und der romanischen Nikolaikirche sowie die zahlreichen kunst- und baugeschichtlich wertvollen Fachwerkbauten vor allem aus dem 16. Jahrhundert.
Die Evangelische Forschungsakademie ist eine Einrichtung der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der EKD. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler christlichen Glaubens aus den unterschiedlichsten Fächern beraten hier ihnen gemeinsame Fragen, die sich aus dem christlichen Lebensverständnis für das wissenschaftliche Arbeiten und umgekehrt aus den Arbeitsergebnissen der Wissenschaften für das christliche Lebensverständnis ergeben. Mitglieder der Evangelischen Forschungsakademie können akademisch oder in der Praxis tätige Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler werden, die in ihren Fachgebieten selbständige Forschungsarbeit betreiben und sich dementsprechend ausgewiesen haben. Gegenwärtig gehören der EFA 85 ordentliche Mitglieder aus Deutschland und den Niederlanden an.



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