Dialogpredigt

Bischöfin Kirsten Fehrs (Hamburg) und Landesbischof Ulrich Fischer (Karlsruhe)

08. November 2013

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Es gilt das gesprochene Wort

Ökumenischer Abendmahlsgottesdienst UEk / VELKD
Mutterhauskirche Kaiserswerth am 8. November 2013, 18.30 Uhr


über Apg 4,32-34 und Dtn 10,12ff
Fischer:
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder! "Sie waren ein Herz und eine Seele" - klingt wie ein Verbindungsmodell....
Fehrs:
Das nenne ich eine Direktkurve, lieber Bruder.... (hier folgt eine kurze auf die aktuelle Debatte bezogene Bemerkung, gern mit Humor, schauen wir am Freitag morgen.) Ernst beiseite: Der Text aus der Apostelgeschichte hat es schon in sich. Und er hat uns sehr angeregt zum Dialog. Sehr verbindend, über Wochen hin. Wochen, in denen so vieles in der Welt passiert ist, was uns an Herz und Seele ging.
Fischer:
Liebe Schwester, dann nehmen wir doch nun unsere Verbindungsmodellgemeinde mit hinein in unser Gespräch. Ich finde diesen Text aufregend. Denn in ihm steckt eine ungeheure Provokation, eine Anfrage an unser Kirchesein heute. Ich glaube, dass Lukas hier ganz Grundlegendes über das Wesen christlicher Gemeinde sagen will, das über 2000 Jahre hinweg bis heute Gültigkeit hat. Etwas, was uns eine Provokation sein soll, also ein Aufruf, die Wirklichkeit unseres Kircheseins zu messen an einem Ideal christlicher Gemeinde und entsprechend zu verändern. Lukas beschreibt hier die Gemeinde, wie sie nach Pfingsten lebte. Durch das Geschenk des Heiligen Geistes bildet sich eine christliche Gemeinde, und christliche Gemeinde in der Kraft des Heiligen Geistes lebt so, wie Lukas es beschreibt. Was Lukas hier als ideale Gemeinde beschreibt, ist nicht das Werk von Menschen, sondern ist Frucht des Heiligen Geistes.
Fehrs:
Der Grund also ist das Bewegte und Bewegende, der Geist, der weht. Stürmt. Manchmal auch durcheinander bringt. Und dann denke ich an unsere wohlsortierten Synoden und Gemeinden, mit Vorlagen, Klarstellungen, Strukturen, mit geradem Komma und geplanter Agenda. Ich schätze das ja auch, gebe ich zu. Und dennoch ist es doch richtiggehend charmant, sich mal wieder in unsere Ursprünge hinein zu erinnern.
Fischer:
Genau das! Lukas ruft uns etwas für unser Kirchesein Grundlegendes in Erinnerung: Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes ist eine Gemeinschaft, die die Gesamtheit des Lebens umfasst. Im Leben einer solchen Kirche gibt es keinen Bereich, in den die Kraft des Heiligen Geistes nicht hineinwirken soll. Deshalb gibt es keine Trennung zwischen Gottesdienst und Alltag, von Glauben und Leben, von Verkündigung und sozialem Tun. Das Provozierende an unserem Bibelwort ist gerade, wie all diese Trennungen überwunden werden, wie das Teilen der materiellen Güter untrennbar verbunden ist mit der Verkündigung des Evangeliums von der Auferstehung Jesu. Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes ist eucharistische Gemeinde, die alles miteinander teilt, das Wort und die Tat, das Brot am Tisch des Herrn ebenso wie Freude und Leid, wie Trauer und Glück, wie Not und Überfluss, wie Güter und Besitz.
Fehrs:
Ich sehe ganz konkret die Suppenküchen vor mir, die die Gemeinden in einigen Stadtteilen Hamburgs betreiben. Ich weiß, es ist auch umstritten. Zugleich rührt es mich auch ehrlich an, wenn man die Schlangen sieht vor den Tafeln und Essensausgaben. Stehen, warten, alle sehen es. Armut beschämt ganz furchtbar. Die Gemeinden bemühen sich sehr, nicht zu gönnen, sondern zu geben. So dass die Menschen bekommen, was sie brauchen. Ohne sich demütigen, anfragen, katalogisieren zu lassen. Und so können sie´s auch annehmen: Brot und Zuneigung, Ruhe und Segenswort, Schuhe und Auswege.
Fischer:
Wie damals in Jerusalem. Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Es war ihnen alles gemeinsam, heißt es. Und jeder hatte genug. Kein Mangel, aber Freundlichkeit die Fülle. Was für ein Gegenbild zu unserer Abwertungskultur. Und zu unserer völlig aus dem Lot geratenen Welt, in der die wenigsten das Meiste besitzen und die meisten am Wenigen verhungern.
Fehrs:
Ja, wir sind ein reiches Land. Mit dennoch vielen unglücklichen Menschen. So vielen, die sich nach Herz und Seele sehnen. Nach Ruhe, Geborgenheit, Schutz. Da sind etwa jene, denen das Leben hart mitgespielt hat. Und da sind die, deren Leben überhaupt noch nicht richtig begonnen hat. Kinder ohne Fußball, Jugendliche ohne Perspektive, Menschen ohne Obdach, Flüchtlinge ohne Heimat.

Und wir als Kirchen in diesem Land? Mit oder ohne Verbindungsmodell? Spielt sich in unseren Gemeinden das Leben nicht oft ganz beschaulich "im Warmen" ab? Fern bitterer Realitäten? Wir beide empfinden es so. Und so möchten wir im Geiste unseres Textes protestieren. Damit wir alle miteinander hinhören, uns bewegen lassen.
Fischer:
Ich könnte es mir mit diesem Bibelwort aus der Apostelgeschichte ja nun ganz leicht machen, indem ich es als ganz zeitbedingt abtue. Ich könnte mich der normativen Kraft dieses Textes entziehen und fragen: War nicht die Situation der Urgemeinde, die Lukas schildert, eine ganz einmalige, die für uns keine Bedeutung mehr hat? Hängt Lukas nicht einer nie verwirklichten Utopie nach? Hat es wirklich jemals eine christliche Gemeinde gegeben, die so vollkommen gelebt hat? Wird nicht schon wenige Kapitel später in der Apostelgeschichte berichtet, dass die Sache mit dem Teilen des Besitzes nicht so sonderlich gut geklappt hat, dass es zu Betrügereien kam?
Fehrs:
Das überrascht ja nicht wirklich. Es menschelt eben seit Menschengedenken. Für mich geht es mit dem Text deshalb um den Horizont, der über das Menschliche hinausgeht. Er macht uns aufmerksam auf Gottes Gegenwart in dieser Welt, wie sie ist. Traurig und bitter oft, mühselig und ungerecht. Es geht um die Wirklichkeit Gottes in einer Welt, die live und in Farbe zusehen kann, wie vor den hochmunitionierten Zäunen Europas Hunderte von Flüchtlinge untergehen. Eine Welt, in der es sein kann, dass Seeretter zu Schleppern kriminalisiert werden. Mit einem Asylrecht aus Absurdistan, das in keinster Weise der Not und den Schicksalen der Menschen gerecht wird, die Aufnahme verlangen. In der Abschottung teuer bezahlt wird, anstatt dahingehend vermögend zu sein, als wir eine Kultur der Annahme lernen. "Und man gab einem jedem, was er nötig hatte": Was wären wir ohne diesen Traum einer eucharistischen Gemeinde, die uns von der Zukunft her in der Gegenwart in Bewegung bringt? Was wären wir ohne Menschen, die gar nicht anders können, als für Gott und füreinander zu entflammen und alles zu teilen, einfach weil die Liebe das Größte geworden ist und nicht materieller Besitz? Wo blieben wir in unserer Wertedebatte des letzten Jahrzehnts ohne diese Visionen, Träume, Utopien, die über uns selbst hinaus weisen? Für mich ist mit diesem Text klar: wer Visionen hat, ist gesund.
Fischer:
Damit widersprichst Du aber Altkanzler Helmut Schmidt, der gesagt hat: Wer Visionen hat, sollte zum Psychiater gehen. Ich hätte nicht gedacht, dass Du als Hamburger Bischöfin Deinem Hamburger Ehrenbürger in dieser Weise widersprechen magst.
Fehrs:
In großer Wertschätzung für ihn tue ich das mit fröhlicher Überzeugung. Denn zu erinnern, was wir einmal sein sollten - das verändert den Trott. Sagt: Riskiert euch selbst! Gott ist mit euch ein Herz und eine Seele. Beispiel: 80 Lampedusa-Flüchtlingen hat eine Kirchengemeinde in ihrer Kirche Obdach gewährt. Mitten in Hamburg, St. Pauli, auf dem Kiez neben der Reeperbahn. Seit 5 Monaten sorgen über 100 Ehrenamtliche für sie, Tag und Nacht. Sie teilen ihre Zeit, ihre Waschmaschinen, ihre Nöte, sie kochen, verarzten, unterrichten Deutsch. Ein Herz und eine Seele sind sie alle miteinander geworden, denn die Verständigung über das übersetzte Wort ist schwierig. Hotte Krieger ist einer von ihnen, normalerweise Türsteher auf dem Kiez. Jetzt organisiert er jeden Abend den Außenschutz. Er ist getauft, im Kindergarten dort gewesen und ganz zart besaitet, wenn ich ihm als Dankeschön eine Rose schenke. Von dem Satz aus dem 5. Buch Mose "Liebe den Fremden wie dich selbst" weiß er nichts. Das muss er auch nicht. Denn er tut es ja längst. Nicht "tolerieren, akzeptieren", nein: "lieben". "Er mag die Jungs aus Afrika", sagt er. Sie sind ziemlich beste Freunde inzwischen. Nichts ist einleuchtender in dieser Gemeinschaft der Ungleichen als diese Vision: "Und man gab einem jedem, was er nötig hatte." Jedem Menschen auf dieser Erde steht Zukunft zu: Essen, Trinken, Familie, Dach, Bettdecke, Klönsnack, Couscous, Freundschaft.
Fischer:
Während Du so erzählst, fällt mir ein. Wir sind heute ja auch an einem Ort versammelt, der Zeugnis ablegt von der Kraft großer Visionen. Theodor Fliedner hatte vor etwa 180 Jahren hier in Kaiserswerth die Vision einer diakonischen Kirche. Und was ist daraus an Großartigem, an Segensreichem geworden!! Nicht nur die Worte der Bibel, auch solche Orte wie dieser erinnern uns daran, dass es Aufgabe von Kirche, ja: auch Aufgabe von Kirchenleitungen ist, sich von den Visionen der Bibel immer wieder anstecken zu lassen. Ich greife hier einmal Deinen Begriff von vorhin auf: "charmant". Wir sollten dem Charme unseres eigenen Anfangs erliegen! Und dann auch anderen diesen Charme des Anfangs verständlich machen.
Fehrs:
Wunderbar, ich bin dabei!
Fischer:
Liegt nicht in ein enormer Charme der Kirche von Anfang an in den Träumen einer gelingenden Gemeinschaft - einer Gesellschaft, die teilt statt neidet. Ist das nicht die Botschaft der Bibel vom Anfang bis zum Ende? In der hebräischen Bibel wird das Gottesvolk ermahnt, Gott von ganzem Herzen zu lieben. Diesen Gott, der sich seiner Geschöpfe annimmt, der den Armen hilft, den Rechtlosen zu ihrem Recht verhilft und der die Fremdlinge liebt. Dabei wird das Volk Israel erinnert: "Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland."

Weil Gott ein Gott aller Menschen ist, schließt er niemanden von seiner Liebe aus. Darum dürfen auch Menschen, die Gott von ganzem Herzen und von ganzer Seele lieben, andere nicht aus ihrer Liebe ausschließen. In der Liebe zum Fremdling findet die Liebe zu Gott ihre Erfüllung. Auch Fremdlinge sollen erfahren, dass genug für alle da ist - genug an Liebe, genug an all dem, was Menschen zum Leben brauchen. Ein solches Leben in der Liebe zu Gott dient dem Menschen zum Besten. Ein solches Leben "zum Besten" schließt ein, dass es auch jenen gut gehen soll, die Mangel leiden, auch jenen, die als Fremdlinge unter uns leben. Das ist die Botschaft der Bibel, in dem der Charme des Anfangs der Kirche gründet. Darum dürfen wir nie aufhören von einer Welt zu träumen, in der das Teilen geübt wird. Deshalb dürfen wir nie aufhören als Kirche Einspruch zu erheben, wenn Menschen vorenthalten wird, was sie zum Leben brauchen
Fehrs:
Ganz hinreißend hat die Klasse 10b in der Stadtteilschule St. Pauli in diesem Sinne Einspruch erhoben. 50 Meter trennt die Schule von der Kirche bzw. von ihren jungen afrikanischen Nachbarn. Die SchülerInnen haben ihr Herz sprechen lassen und Briefe an den Senator und mich geschrieben. Sie würden sich große Sorgen machen um die Flüchtlinge nebenan. Die seien schwer nett. Und hätten Schlimmes hinter sich. Die Polizeiaktionen hätten ihnen sehr viel Angst eingejagt. Sie, die Zehntklässler, würden gern als Winterquartier ihre Turnhalle zur Verfügung stellen - und ob es nicht möglich ist, dass ich die Turnhalle segne, damit dann die Polizei da nicht einfach herein kommen kann. Ob wir darüber nicht mal reden könnten? Sie würden einem Gespräch mit Freude entgegen sehen. Ich auch, habe ich gesagt - und .... hörst Du mir überhaupt zu?
Fischer:
Ich bin wieder ins Träumen geraten. Die Vision des Lukas lässt mich einfach nicht los. Diese Vision einer eucharistischen Gemeinschaft - vereint an einem Tisch. An ihm wird geredet und gelacht, gegessen und getrunken...und geträumt.

Beginnt zu singen: "Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum, wenn viele gemeinsam träumen, dann ist das der Beginn, der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Träum unsern Traum.")

Fehrs stimmt ein in den Kanon, beide gehen singend ab, Orgel beginnt mit dem Vorspiel zum kommenden Lied.



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