Vielfalt wissenschaftlicher Arbeit

Bericht von der Pfingsttagung der Evangelischen Forschungsakademie 2009

05. Juni 2009

Kloster Drübeck

Die Evangelische Forschungsakademie (EFA) veranstaltete vom 29. Mai bis 1. Juni 2009 ihre 123. Tagung im Evangelischen Zentrum Kloster Drübeck, unweit von Wernigerode im Harz. Die Pfingsttagungen der EFA dienen der Darstellung und Diskussion von Forschungsergebnissen  ihrer Mitglieder und Gäste. In neun Vorträgen wurden die Breite und die Vielfalt der wissenschaftlichen Arbeit der zur Forschungsakademie gehörenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutlich.

Am Anfang stand der Vortrag von Hermann Michael Niemann, Alttestamentler in Rostock, zum Thema „Archäologie im Rahmen der Bibelwissenschaft?“ Niemann gab einen Überblick über die Entwicklung der archäologischen Forschung und über das Verhältnis der durch Ausgrabungen gewonnenen Ergebnisse zu biblischen Aussagen. Niemann erläuterte das am Beispiel der Beziehung zwischen „Erzählter Geschichte“ (story) und vergangener Geschichte (history).

Vicco von Bülow, Kirchenhistoriker und Oberkirchenrat im Kirchenamt der EKD, stellte seinen Beitrag zum 500. Geburtstag des Genfer Reformators Johannes Calvin unter den Titel „Erstaunlich modern, dieser Calvin“. Ein zentraler Aspekt war die Auseinandersetzung mit dem durch Stefan Zweig in seinem 1936 verfassten Buch „Ein Gewissen gegen die Gewalt“ entstandenen und sehr wirkmächtig gewordenen Calvinbild, das die Abhängigkeit historischer Wertungen von jeweils aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen deutlich machte. Von Bülow stellte das Leben Calvins und die besonderen Aspekte seiner Theologie dar und setzte sich kritisch mit geläufigen Vorurteilen, etwa zum Thema Prädestinationslehre oder zu dem angeblich durch Calvin initiierten „wilden Kapitalismus“, auseinander.

Ebenfalls Calvin war der Vortrag des Neutestamentlers Andreas Lindemann (Bielefeld) gewidmet. Thema war Calvins Auslegung der Heiligen Schrift; dazu wurden die hermeneutischen Grundentscheidungen vorgestellt, aber auch Beispiele für konkrete Textauslegungen in den Kommentaren zum Neuen und zum Alten Testament sowie in Predigten des Genfer Reformators.

Jörg Kärger, Experimentalphysiker in Leipzig, erinnerte an das 600jährige Bestehen der Universität Leipzig und stellte dazu aktuelle Forschungsergebnisse zur Diffusion in porösen Materialien vor. Sein Vortrag, der unter dem Stichwort „Wandern ohne Ziel“ stand, veranschaulichte eindrucksvoll, wie sich beim Stofftransport von Molekülen in mesoskopischen Systemen Fragen der Grundlagenforschung mit aktuellen technologischen Herausforderungen verbinden. Kärger berichtete auch vom aktuellen Stand der Arbeit internationaler Forschungsverbünde in deutschen und niederländischen Universitäten.

Der Informatiker Bernd Freyer (Berlin) stellte Prinzipien und Anwendungen der Satellitennavigation dar. Er erläuterte Positionsbestimmungen mit Hilfe des Global Positioning Systems (GPS) und informierte über das sich ständig erweiternde Feld realisierter Anwendungen der Satellitennavigation, u.a. bei der Mauterhebung auf Autobahnen (TollCollect). Hier ergab sich eine interessante Verbindung zum Eröffnungsvortrag, denn auch in der heutigen archäologischen Forschung spielt die satellitengestützte Ortsbestimmung der Fundorte eine wesentliche Rolle.

Anette Schmidt, Germanistin aus Leipzig, stellte die Ergebnisse ihrer Rekonstruktion der Texte vor, die in dem im 13. Jahrhundert geschaffenen und zum Halberstädter Domschatz gehörenden „Karls- oder Philosophenteppich“ zum Teil nur verstümmelt zu lesen sind bzw. fehlen. Ihre These ist, dass die philosophischen Sprüche aus dem Spruchgut der Zeit entnommen sind und nach den Maßstäben zeitgenössischen Denkens den amicus fidelis preisen, den treuen Freund, auf dessen Rat auch der Herrscher, in diesem Fall Carolus rex (Karl der Große noch als König) angewiesen ist.

Der Bildhauer Helmut Heinze aus Kreischa berichtete über das Kölner Domfenster im Werk seines Studienkollegen und Freundes, des aus Dresden stammenden Malers Gerhard Richter. Er stellte das 2007 eingeweihte Südfenster im Kölner Dom in den Rahmen der frühen Arbeiten Richters, insbesondere der 1957 entstandenen Monotypien des „Elbe“-Zyklus’ und 1966 bzw. 1974 entstandenen Farbtafelbildern, in denen der Zufall eine wesentliche Rolle spielt.

Kathrin Pötschick, Fachärztin für Humangenetik in Berlin, sprach über die sogenannten „Gentests“, besser zu bezeichnen als „diagnostische Untersuchungen der Gene“. Die Referentin betonte in ihrem Vortrag, der in dem Untertitel die Frage stellte, ob solche Untersuchungen als „Die neue Büchse der Pandora?“ seien, die ethische Problematik der Genuntersuchungen. Sie seien eben auch unter dem Aspekt des „Rechtes auf Nicht-Wissen“ zu bewerten; denn sie könnten einerseits von großem Nutzen bei der Früherkennung von Erbkrankheiten sein, andererseits aber auch gefährliche Auswirkungen haben, weil die Gefahr drohe, dass Menschen mit einer Behinderung ausgegrenzt würden. Die Pränataldiagnostik könne ohnehin nur Wahrscheinlichkeitsurteile fällen.

Eva-Maria Fabricius, Mikrobiologin in Berlin, stellte den multifaktoriellen Prozess des Alterns aus zellbiologischer Sicht dar. Anhand der Verschleiß- und Programmtheorie erläuterte sie, wie das „Altern“ zu verstehen und zu definieren sei. Das sowohl in Stamm- wie in Krebszellen auftretende Enzym Telomerase beeinflusst den bei jeder Zellteilung auftretenden Verlust von Telomersequenzen. Die Telomeraseaktivität wird somit zu einem wesentlichen Bestandteil der Krebsdiagnostik und -therapie.
Auf einer von dem Berliner Geobotaniker Ernst-Manfred Wiedenroth geleiteten Exkursion lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung die Pflanzenwelt und die geologischen Gegebenheiten der Landschaft am Fuße des Harzes kennen.

Im Gottesdienst am Pfingstsonntag in der St. Vituskirche im Kloster Drübeck predigte Wilhelm Hüffmeier, wobei er Zusammenhänge aufzeigte zwischen dem biblischen Pfingstereignis und der vor 75 Jahren, am 31.5.1934 in Barmen von der Bekenntnissynode in Kraft gesetzten Theologischen Erklärung.

Die Evangelische Forschungsakademie ist eine Einrichtung der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der EKD. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler christlichen Glaubens aus unterschiedlichen Fachgebieten beraten hier über Fragen, die sich aus dem christlichen Lebensverständnis für das wissenschaftliche Arbeiten und umgekehrt aus Arbeitsergebnissen der Wissenschaften für das christliche Lebensverständnis ergeben. Mitglieder der Evangelischen Forschungsakademie können akademisch oder in der Praxis tätige Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler werden, die in ihren Fachgebieten selbständige Forschungsarbeit betreiben und sich dementsprechend ausgewiesen haben. Gegenwärtig gehören der EFA 85 ordentliche Mitglieder aus Deutschland und den Niederlanden an. Nähere Informationen über die Organisation und Tätigkeit der EFA sind im Internet unter www.evangelische-forschungsakademie.de zu finden.



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