Beeindruckende Vielfalt

Pfingsttagung der Evangelischen Forschungsakademie mit Vorträgen aus neun Wissenschaftsbereichen

15. Mai 2008

Kloster Drübeck

Die Vielfalt und Breite des Programms ist beeindruckend. Wer die Liste der Vorträge und Abstracts der diesjährigen Pfingsttagung der Evangelischen Forschungsakademie (EFA) in der Hand hält, hat einigen Lesestoff zu durchforsten: Insgesamt neun Vorträge von namhaften Referenten aus den unterschiedlichen Bereichen der in der EFA vertretenen Wissenschaften waren dort angekündigt. Drei Tage lang, vom 9. bis 12. Mai, hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung im Evangelischen Zentrum Kloster Drübeck nahe Wernigerode Zeit zum Zuhören und Diskutieren. „So unterschiedlich die Themen waren – einen ‚roten Faden’ gab es doch: Alle Vorträge hatten einen Bezug zur Geschichte“, stellt Andreas Lindemann, Direktor der Forschungsakademie fest. In einem Resümee referiert er die wesentlichen Beiträge der Tagung:

Den Anfang machte eine biblische Besinnung zur Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok (Genesis 32,22-32) unter dem Titel „Nur der geschlagene Gott kann helfen“. Es sprach Gerhard Begrich (Drübeck), Studienleiter im Pastoralkolleg der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland. An dem Text, der vom nächtlichen Ringen Jakobs mit Gott spricht, zeigt Begrich auf, dass es in der Wirklichkeit des Lebens nicht darauf ankommen kann, unbedingt „siegen“ zu wollen.

Rüdiger Lux, Professor für Altes Testament in Leipzig, hielt einen Vortrag unter der Überschrift „Am Anfang war das Wort – Zum Verhältnis von Schöpfung und Sprache im Alten Testament“. Lux zeigt auf, dass die Verbindung zwischen der Vorstellung vom Schöpferhandeln Gottes und dem Wort Gottes aus der Mythologie des alten Ägypten übernommen wurde. Entscheidend ist der Gedanke, dass Sprache die Welt nicht nur abbildet, dass sie nicht nur „reaktiv“ ist, sondern dass die Sprache auch „aktiv“ ist, dass sie Welt konstruiert und Wirklichkeit setzt.

Einen Bezug zur Weltschöpfung stellt auch der Vortrag von Dr. Henning Löber, Professor für Bauphysik an der Hochschule Zittau/Görlitz, her. Er sprach über „Bauklimatische Fragestellungen bei der Präsentation von Kunstgütern am Beispiel des Fastentuches in Zittau“. Das 1472 entstandene, 6,80 m breite und 8,20 m hohe Fastentuch, ein Kunstwerk von europäischem Rang, illustriert die biblische Geschichte mit ungewöhnlich „modern“ wirkenden Bildern von der Schöpfung der Welt und des Menschen. Löber beschreibt eindringlich die von ihm geleiteten überaus komplizierten technischen Maßnahmen, durch die das Kunstwerk auch für eine fernere Zukunft vor Schäden bewahrt, zugleich aber auch der Öffentlichkeit präsentiert werden kann.

Zwei Vorträge führten in die Geistesgeschichte der Antike und machten deutlich, dass die Antike nicht allein als etwas Vergangenes in den Blick kommt, sondern dass wir auch gegenwärtig vom damaligen Denken lernen können. Abraham Bos, emerierter Professor für antike Philosophie an der Vrije Universiteit Amsterdam, sprach zum Thema „Die aristotelische Lehre von Seele“. Er widerspricht der seit langer Zeit in der philosophischen Forschung vertretenen These, im Denken des Aristoteles sei die Seele die „Form des sichtbaren Körpers“. Vielmehr bedeute für Aristoteles die Seele potentiell Leben, und dieses potentielle Leben sei Pflanzen, Tiere und Menschen immer schon zu eigen. Der griechische Philosoph setze sich hier also mit der Frage nach dem Wesen des Lebens auseinander, wie sie heute auch in der Bioethik kontrovers diskutiert wird.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird im spätantiken Christentum vom beginnenden Mönchtum gestellt. Günther Schulz, emeritierter Professor für Alte Kirchengeschichte in Münster, sprach über die „Sprüche der Väter und Mütter der Wüste“. Die zum Teil sehr kurzen Gesprächsszenen („Apophthegmata“), die im 4. und 5. Jahrhundert in Ägypten entstanden, wollen Antwort geben auf Lebensfragen, und sie wollen zur geistlichen Meditation einladen. Dem Charakter dieser Texte entsprechend waren hier Vortrag und Gespräch der Teilnehmenden unmittelbar miteinander verbunden.

Auf wiederum ganz andere Weise stellt sich für Emanuel Swedenborg (1688-1772) die Frage nach dem Sinn des Lebens. Friedemann Stengel (Halle) berichtete unter dem Titel „Die Geister (in) der Aufklärung“ von seiner Forschungsarbeit zum Leben und Denken des schwedischen Gelehrten. Dieser bricht nach zwei Christusvisionen seine Arbeit als Naturwissenschaftler und Mediziner ab und entwirft ein Lehrsystem der „Geisterwelt“, das in der Aufklärung und in der Romantik, aber auch im Pietismus wirksam wird.

Der jüngsten Kirchengeschichte war der Vortrag von Jürgen Kampmann, Professor für Kirchenordnung und Neuere Kirchengeschichte in Tübingen, gewidmet. Unter der Überschrift „Von Koordination, Kooperation und Lobbyismus“ berichtet Kampmann von der „Konferenz der evangelischen Kirchen in der Britischen Zone 1945-1949“. Vertreter der Landeskirchen auf dem Gebiet der in der Britischen Besatzungszone gebildeten Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen trafen sich insgesamt 14mal im westfälischen Bethel, um aktuelle Probleme zu erörtern und kirchliche Interessen sowohl gegenüber den Besatzungsbehörden als auch gegenüber den Ländern gemeinsam zu artikulieren und durchzusetzen.

Zwei Vorträge schließlich waren auf sehr unterschiedliche Weise Gegenwartsfragen gewidmet. Herbert Küstner, Mathematiker und Sprachwissenschaftler aus Berlin, sprach zum Thema „Der logisch-strukturelle Reichtum unserer Sprache – Möglichkeiten und Grenzen formaler Linguistik“. Er bezieht sich dabei auf das Goethe-Wörterbuch der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften bezog, dessen Mitautor er ist. Sprache erscheint hier als sich veränderndes Kommunikationssystem, wobei Küstner u.a. auf ein von Paul Grice (1975) formuliertes Kooperationsprinzip verweist: „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird.“

Ein ganz anderer Aspekt des gegenwärtigen Lebens kam in den Blick, als Winfried Lange, Wirtschaftswissenschaftler in Köln und in Nishni Nowgorod, über das Thema „Logistik- und Supply Chain Management – Von Funktionenlogistik zur globalen Netzwerklogistik“ sprach. Der inzwischen alltäglich begegnende Begriff „Logistik“ beschreibt die Planung, Steuerung und Kontrolle von Wertschöpfungsnetzwerken. Lange zeigt anschaulich, welche Entscheidungen erforderlich sind, um möglichst kostengünstig die richtige Ware an den richtigen Ort zu bringen, und zwar zur richtigen Zeit („just in time“). Er zitiert einen Satz von Alexander Solschenizyn: „Die Lösung ist immer einfach; man muss sie nur finden.“

Die Evangelische Forschungsakademie ist eine Einrichtung der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der EKD. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler christlichen Glaubens aus den unterschiedlichsten Fächern beraten hier ihnen gemeinsame Fragen, die sich aus dem christlichen Lebensverständnis für das wissenschaftliche Arbeiten und umgekehrt aus den Arbeitsergebnissen der Wissenschaften für das christliche Lebensverständnis ergeben. Gegenwärtig gehören der Evangelischen Forschungsakademie 85 Mitglieder aus Deutschland und den Niederlanden an.



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